Ich kann es schon nicht mehr hören! „Jede Krise birgt eine Chance“ Ja, eh!

Jetzt mal ganz ehrlich, wollen diejenigen, die unser System erhalten und täglich an ihre Grenzen stoßen, das jetzt hören? ÄrztInnen und medizinisches Personal, die sich auf das Schlimmste vorbereiten, MitarbeiterInnen im Supermarkt, die von unmöglichen KundInnen angepöbelt werden oder auch PolizistInnen, die Gruppen uneinsichtiger PassantInnen auflösen müssen. Ist es da wirklich angemessen, über Chancen zu sprechen? Oder wäre es einfach nur angebracht, jeden Tag bestmöglich zu meistern?

Viele von uns sind derzeit dazu verdonnert, zuhause abzuwarten, was passiert. Andere haben zuhause sehr viel zu tun, um das Unternehmen am Laufen zu halten und wirtschaftlich weiterzutragen. Gerade Führungskräfte sind mit dieser Situation oftmals überfordert oder wissen, sie können den aktuellen Overload an Arbeit nicht schaffen. Ein Gespräch in dieser Woche war bezeichnend dafür. „Ich weiß, ich kann es nicht schaffen. Das frustriert unglaublich“. Sofort ging es um die Work Life Balance. Viele waren es bisher nicht gewöhnt, dass sich Arbeit und Freizeit auch räumlich vermischen. Lernen damit umzugehen, kann ein schwieriger Prozess sein.

Jedes System reguliert sich – auch Wirtschaftssysteme. Die Frage ist nur, wie?

Lernen wir etwas aus dem, was uns da gerade passiert? Brauchen wir Billigprodukte, und Billiglebensmittel aus aller Herren Länder? Oder kaufen wir User und Konsumenten zukünftig mehr regional produzierte Produkte? Brauchen wir Erdbeeren im Winter? Die Globalisierung zeigt in Zeiten wie diesen ihre Nachteile. Wir haben manche Produkte nicht im Land. Auch wenn unsere noch vorhandenen NäherInnen in Österreich plötzlich coolen Mundschutz produzieren, so sind wir doch auf die Massenware aus Fernost angewiesen. Und nur wenige Pharmaunternehmen haben schon vor Jahren erkannt, dass man dringend benötigte Rohstoffe auch lokal oder zumindest in Europa beziehen kann.

Die Globalisierung ist aber nur ein Aspekt, der Unternehmen möglicherweise nach der Krise beschäftigen wird. Andere Themen werden sein, wie die Effizienz gesteigert werden kann. Oder auch, wie Räumlichkeiten genutzt werden können. Homeoffice wird bei Arbeitgebern wie auch bei ArbeitnehmerInnen neu gedacht. Zum einen ist es jetzt plötzlich möglich und zum anderen, erkennen MitarbeiterInnen, dass es doch ganz spannend ist, einen geregelten Arbeitsablauf zu haben und KollegInnen, mit denen man sich am Gang unterhalten kann.

Wenn ich derzeit mit Menschen rede, klagen viele über die Müdigkeit am Abend – nicht nur jene mit schulpflichtigen Kindern. Ich habe dazu eine Hypothese. Der Arbeitsalltag ist so neu, dass wir permanent außerhalb unserer Komfortzone sind. Wir sind also nicht vom Inhalt der Arbeit müde, sondern von dem, was wir den ganzen Tag neu lernen. Wir sind als BeraterInnen in meinem Team schon seit Jahren gewöhnt, so zu arbeiten, weil wir Flüge oder auch Autofahrten vermeiden wollen. Weil wir daran glauben, dass es möglich ist, Kosten für die Kunden und CO2 für die Umwelt zu vermeiden, wenn wir manche Meetings virtuell abhalten.

Auch die Art von Führung wird sich verändern. Viele Führungskräfte haben immer noch geglaubt, dass Teams virtuell nicht zu führen sind. Jetzt erkennen sie, dass es doch geht – weil es gehen muss. Das was bis jetzt in der Führung funktioniert hat, funktioniert jetzt anders. Es braucht eine andere Art von Kommunikation.

Deshalb ist alles, was wir jetzt über die Zukunft denken, eigentlich nur Vermutung – wir wissen es nicht. Eines scheint aber jetzt schon klar: Wenn wir glauben, nachher ist alles gleich wie vorher, dann sind wir falsch. Jede Irritation in einem System, noch dazu so einschneidende, verändert unsere Erfahrungen und unser Verhalten und somit das ganze System.

Es liegt an uns, wie wir in Zukunft mit Krisen umgehen und was wir als UnternehmenerInnen, ArbeitnehmerInnn oder einfach als Menschen daraus lernen. Vielleicht mehr Erspartes am Konto zu haben, weniger für unnötige Dinge auszugeben, weil auch weniger mehr ist. Vielleicht verlieren der Sportwagen oder der Kurztrip nach New York ihre Bedeutung. Vielleicht leben wir in Zukunft bewusster. Vielleicht mehr Zeit mit Familie oder Freuden zu verbringen, weil wir dadurch bessere Menschen werden und wir durch soziale Auseinandersetzung egal ob Streit, Liebe oder übermäßige Kommunikation lernen, miteinander umzugehen, anstatt nur nebeneinander zu leben.

Jetzt ist aber eines wirklich möglich. Leben Sie Tag für Tag. Nehmen Sie sich – speziell als Führungskraft – eine Auszeit, um zu erkennen, was jetzt anders ist und was zukünftig besser/anders sein könnte. Geben Sie sich Zeit mit Ihrem Team, jetzt schon darüber nachzudenken, was Sie in Zukunft anders machen wollen. Ich empfehle unseren Kunden einen Futuretalk mit den Teams einzuführen. Das gibt ein positives Gefühl. ZB wäre so eine Frage: Was braucht es, damit sich die KundInnen auch ohne Kundenschalter mit uns wohl fühlen? Zurzeit geht es ja auch ohne. Diese und andere Fragen sind jetzt angebracht.

Die Zukunft kommt. Die Frage ist nur, wie wir darauf vorbereitet sind.

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