Gendergerechte Sprache – schon wieder? Nein, noch immer!

Ein kurzes Gedankenexperiment für meine männlichen Leser: Würden Sie sich angesprochen fühlen, wenn in einem Text von „Leserinnen“, „Kundinnen“ oder „Mitarbeiterinnen“ geschrieben wird? Nein? „Warum auch?“, höre ich Sie sagen. Und was, wenn irgendwo im Impressum oder auf der Website stehen würde: „Zur leichteren Lesbarkeit sind personenbezogene Bezeichnungen nur in weiblicher Form angeführt. Sie beziehen sich auf Männer und Frauen in gleicher Weise.“ Würde das für Sie etwas ändern?

Das ist nur ein Beispiel, das zeigen soll, wie überaus wichtig eine geschlechtergerechte Sprache ist. Denn in der deutschen Sprache überwiegt die männliche Form, auch wenn beide Geschlechter gemeint sind.

Das Ergebnis einer männlichen Sprache ist, dass Ärztinnen, Wissenschaftlerinnen oder Vorständinnen hinter ihren männlichen Kollegen verschwinden. Durch geschlechtergerechte Sprache werden Frauen sichtbar und die Gleichstellung der Geschlechter deutlich unterstützt. Dennoch debattieren Frauen wie Männer darüber, ob es notwendig ist, etwas an unserer Sprache zu ändern. Ich selbst war vor 20 Jahren jedenfalls ein Techniker und keine Technikerin. Schon damals habe ich mich sehr mit Sprache beschäftigt und war mir nicht sicher, ob eine Änderung notwendig ist. Damals hatte ich aber noch nicht das Wissen, das ich heute habe und wusste nicht, was Sprache in uns Menschen auslöst. Heute weiß ich, warum die weibliche Form wichtig ist.

Sprache formt unser Denken. Denken formt unsere Haltung. Haltung formt unser Verhalten.

Sie können es auch anders sagen: So wie jemand spricht, denkt er/sie auch. So wie jemand sich verhält, erkennt man seine/ihre Haltung. Sprache spiegelt das Innere eines Menschen wider. Somit kann Sprache auch die Haltung eines Menschen und den Zugang zu einem Thema verändern. Gerade bei Wahlen oder in der Politik sehen wir, wie Menschen ihre Haltung verändern, wenn sie lang genug „zugetextet“ wurden.

Genau das ist der Grund, warum Sprache wichtig ist. Natürlich könnte man das jetzt noch soziologisch oder psychologisch erklären. Das ginge an dieser Stelle aber zu weit. Interessierte finden dazu mehr in meinem Buch „Wettbewerbsvorteil Gender Balance“ erschienen im Gabal Verlag.

Ich will ich mich gar nicht in die Debatte einmischen, wie man dieser Herausforderung am besten sprachlich begegnet. Denn das berühmtberüchtigte Binnen-I wird ja wegen der schlechten Lesbarkeit und der – durchaus bewussten – Unterbrechung des Sprachflusses von einigen abgelehnt. Wobei 2019 eine Studie der TU Braunschweig keine schlechtere Lesbarkeit nachwies. Manche lösen diese Herausforderung indem sie beide Geschlechter verwenden und von „Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen“ sprechen oder geschlechtsneutrale Worte wie „Führungskraft“ oder „Mitarbeitende“ gebrauchen. Für geschlechtergerechte Formulierungen gibt es verschiedene Möglichkeiten.

In dieser Diskussion darf man aber nicht vergessen, dass Sprache nur ein Teil zu mehr Geschlechterausgewogenheit ist. Sie ist ein Schritt in die richtige Richtung. Das bedeutet, Sprache führt nicht automatisch zu mehr Gender Balance im Unternehmen. Sie ist ein Puzzlestein von mehreren, der zum Ziel führt.

Wir reden so, wie wir denken. Ändern wir nicht die Art zu denken, ändern wir auch unsere Sprache nicht. Nicht selten habe ich Männer gesehen, die positiv über Gender Balance redeten, selbst aber nicht an den Erfolg dieser Maßnahme glaubten.

Meine Empfehlung lautet daher, nicht nur gendergerechte Sprache zu trainieren und einzusetzen, sondern auch das Denken ihrer Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen zu hinterfragen. Leitlinien für gendergerechte Kommunikation in Unternehmen sind deshalb keine Lösung für die mangelnde Gerechtigkeit zwischen Frauen und Männern. Vielmehr braucht es andere Wege des Miteinanders und der Kommunikation, damit wir verstehen, dass Gender Balance nichts mit Feminismus und Frauenförderung zu tun hat. Vielmehr ist Gender Balance ein Wettbewerbsvorteil für Organisationen.

Fazit: Wir müssen von etwas überzeugt sein, damit wir es überzeugend kommunizieren können. Dass wir unser Denken nicht von einem Tag auf den anderen ändern können, ist klar. Aber wenn Sie erkannt haben, dass es notwendig ist, dann sind Sie jedenfalls schon auf dem richtigen Weg. Auch wenn dieser neue Weg manchmal Fragen aufwerfen sollte, so passt er doch ins Jahr 2020.

Mehr Details wie immer in meinem „Podcast“.