Stereotype Threat oder die selbsterfüllende Prophezeiung

In meinem letzten Blog habe ich darüber geschrieben, wie wichtig und inspirierend Vorbilder für alle von uns sind. An Vorbildern können wir uns orientieren, uns messen und sie helfen uns, unsere Ziele zu erreichen. Besonders wichtig ist diese Vorbildfunktion in Bereichen, in denen Frauen traditionell unterrepräsentiert sind. Dort sehen sich Frauen auch den meisten Vorurteilen gegenüber und befürchten daher, aufgrund eines Stereotyps beurteilt zu werden bzw. durch ihr Verhalten das Stereotyp unabsichtlich zu bestätigen. Hand aufs Herz: Was denken Sie denn über Frauen und Technik?

Gerade die Fächer Mathematik, Informatik und naturwissenschaftlich-technische Studiengänge werden vorwiegend von Männern gewählt: 2015 waren in Deutschland lediglich 32 Prozent aller Studierenden im ersten Semester Frauen. Die Studentinnen sehen sich häufig mit der Vorstellung konfrontiert, sie seien mathematisch weniger begabt als ihre männlichen Kommilitonen. Und genau dieses Klischee kann dazu führen, dass Frauen in standardisierten Leistungstests tatsächlich schlechter abschneiden als Männer. Forscher bezeichnen diesen Effekt auch als „stereotype threat“ (Bedrohung durch Stereotype). Schon die Furcht, unfreiwillig zu diesem Vorurteil beizutragen, schmälert die Leistung der Studentinnen – selbst dann, wenn sie eigentlich von ihrem eigenen Können überzeugt sind.

Dieser Effekt lässt sich mit recht einfachen Mitteln abmildern, wie die Sozialforscher David Marx und Jasmin Roman entdeckten: An der US-Eliteuniversität Harvard führten sie eine Serie von Experimenten mit mathematikbegeisterten Studierenden durch. Teilnehmen durfte nur, wer bereits in früheren Tests herausragende Ergebnisse erzielt hatte. Die Versuchspersonen sollten besonders knifflige mathematische Probleme lösen.

Nach dem Zufallsprinzip teilten die Forscher ihre Probanden in zwei Gruppen. Die Hälfte der Tests wurde von einem Mann durchgeführt, die andere Hälfte von einer Frau. Im Vorfeld präsentierten sich die Versuchsleiter als Matheprofis: Sie hätten den Test selbst entwickelt, behaupteten sie, und im Anschluss an die Aufgaben bekämen die Versuchspersonen eine ausführliche Rückmeldung über ihre Stärken und Schwächen.

Schon dieser simple Eingriff hatte beeindruckende Folgen. Wurde der Test von einer Frau durchgeführt, hatten die weiblichen Prüflinge deutlich bessere Ergebnisse und lagen mit ihren männlichen Kommilitonen gleichauf. Die männlichen Versuchspersonen schien das Geschlecht des Versuchsleiters dagegen kaum zu interessieren. Sie lieferten in beiden Fällen ähnliche Ergebnisse ab. Offenbar genügte schon die Anwesenheit einer kompetent wirkenden Versuchsleiterin, um den „stereotype threat“ bei den Frauen wieder wettzumachen.

In einer Folgestudie zeigten die beiden Forscher, dass allein ein virtuelles Vorbild genügte. In diesem Fall fanden die Testpersonen beim Eintreffen im Labor lediglich einen Zettel an der Tür: Die Versuchsleiterin hätte sich verspätet, man möge den PC-gesteuerten Mathematiktest ohne sie beginnen.

Bevor es losging, wurde den Prüflingen die (frei erfundene) Biografie der Versuchsleiterin vorgelegt: Sie habe verschiedene schwierige Mathematikkurse erfolgreich absolviert und würde nun einen Doktortitel in quantitativer Psychologie anstreben. Die fiktive Versuchsleiterin der Kontrollgruppe verfügte hingegen über durchschnittliche mathematische Fähigkeiten. Schon der eine Satz über die talentierte Versuchsleiterin reichte aus, um den weiblichen Probanden ein besseres Testergebnis zu bescheren als jenen der Kontrollgruppe.

Je mehr Gemeinsamkeiten, desto mehr (Selbst)Vertrauen

In Untersuchungen wurde aber auch festgestellt, dass wir Personen stärker vertrauen, je ähnlicher wir diesen sind. Übereinstimmungen beim Kleidungstil, bei Bildung, Herkunft, Verhaltensweisen und Wertvorstellen sind uns dabei wichtig. Sehr oft beobachte ich, dass Mentorinnen und Mentoren jene Frauen oder Männer fördern, die ihnen sehr ähnlich sind. Meist ist es den Betroffenen nicht bewusst, häufig aber haben sie einen ähnlichen Kleidungstil, Haarschnitt und das gleiche Studium.

Damit wir nämlich bereitwillig voneinander lernen wollen, benötigen wir diese Gemeinsamkeiten. Sie geben uns das Gefühl, jemanden zu kennen. Das schafft Vertrauen und steigert das Selbstvertrauen, dass auch wir das schaffen können, was die oder der andere bereits erreicht hat.

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