Das eigene Tempo finden – schneller ist nicht immer erfolgreicher

Dass wir in einer Zeit leben, in der alles schneller, besser, exakter und erfolgreicher gehen muss, ist nichts Neues. Und selbst der Lockdown lässt uns nicht vergessen, wie schnell mittlerweile alles geworden ist. Ein Telefonat hier, eine Videokonferenz da, dazwischen noch schnell ein paar E-Mails beantworten. Ganz unterschwellig ist diese Schnelligkeit längst zum neuen Standard avanciert. Die Beschleunigung der Welt ist auch in der Führung von Menschen angekommen – nicht immer zum Vorteil der Beteiligten.

Weil ein Brief nicht mehr Tage, sondern Sekunden benötigt, um dem Empfänger vorzuliegen, erwartet man, dass Menschen schneller denken, analysieren, entscheiden und handeln. Und auch von Führungskräften erwartete man Ergebnisse innerhalb kürzester Zeit. Und nach dieser Zeit erwartet man Verbesserungen dieser Ergebnisse. Und danach… Sie haben es verstanden.

All diese Erwartungen ändern nichts an der Tatsache, dass die Führung von Menschen nicht plötzlich nach ganz anderen Prinzipien funktionieren kann. Wie ich schon geschrieben habe, waren und sind wahre Leader keine Sprinter, sondern Langstreckenläufer. Um ein Team beständig motivieren und zu Bestleistungen bringen zu können, braucht es Ausdauer und eine kontinuierliche Auseinandersetzung mit den Menschen und ihren Aufgaben, Rollen, Talenten und Möglichkeiten. Es braucht also etwas, von dem Sie wahrscheinlich annehmen, dass Sie es nicht haben: Zeit.

Vermutlich sind Sie wie viele Führungskräfte zu 70 bis 80 Prozent im Tagesgeschäft verhaftet – also operativ eingesetzt. Es bleibt Ihnen allerhöchstens ein Drittel Ihrer Zeit übrig, um tatsächlich zu führen. Mit dieser Arbeitsteilung wird man aber nicht zum Leader reifen, sondern bestenfalls zum Profi-Jongleur. Klar werden auch Jongleure für ihre Fertigkeiten bewundert – allerdings selten von den Bällen selbst. Diese würden sich, wäre es Menschen, im besten Fall „gemanagt“, im schlechtesten Fall „ständig zur Seite geschoben“ fühlen. Und das trifft den Kern der Sache ganz gut, wenn es um Leadership geht. Gute Menschenführung ist eine Kunst, kein Kunststück. Man kann sich in relativ kurzer Zeit durch Übung und Wiederholung ein Kunststück beibringen – das Erlernen, Beherrschen und Meistern von kreativer, wandelbarer Kunst ist jedoch etwas, das viel Zeit erfordert.

Genau hier scheitern viele Führungskräfte, die glauben, dass sie der Zeit ein Schnippchen schlagen und den so wichtigen Weg abkürzen oder mit raffiniertem Multitasking vollstopfen können. Sie gehen in Zeitmanagementseminare und versuchen, in einem Zwölf-Stunden-Tag irgendwie die Arbeit von 18 Stunden unterzubringen und überfordern damit ihre Teams. Gute Leader wissen aber, dass niemandem gedient ist, wenn Menschen auf Dauer mehr aufgebürdet wird, als sie in ihrem Tempo innerhalb einer gewissen Zeit stemmen können. Sie erkennen jene Prioritäten, die für das Unternehmen, für das Team und auch für sich selbst wichtig sind. Mit anderen Worten: Sie bzw. er erkennt und zieht Grenzen und sagt klar „Nein“, wenn diese dauerhaft überschritten werden sollen.

Deshalb brauchen auch Leader ein Abschalten und bewusstes Wegdenken, um frisch und motiviert zu bleiben. Wer Tag und Nacht nur an die Arbeit denkt, hat mit Sicherheit ein grobes Zeitmanagement- und Prioritätenproblem und tut wahrscheinlich gut daran, sich in Seminaren etwas Struktur zu holen. Der Schlüssel zum Erfolg beim Führen von Menschen ist jedoch nicht die klischeehafte Unermüdlichkeit und Dauerverfügbarkeit, sondern gut organisierte Gelassenheit. Dafür braucht man unter anderem kluges Delegieren und gute Kommunikation.

Vielleicht nutzen Sie ja die bevorstehenden Weihnachtsfeiertage, um sich dieser Gelassenheit anzunähern und Ihr Tempo zu finden. Und bedenken Sie dabei: Das „richtige Tempo“ hat nicht immer eine lineare, konstante Geschwindigkeit, die es zu finden und einzuhalten gilt, sondern erfordert manchmal ein Innehalten, Zuhören, Formulieren und Überlegen, bevor sich überhaupt irgendetwas bewegen kann. Die Bewegung beginnt im Kopf und bestimmt das Tempo, das man später tatsächlich gehen kann.

Mehr zum Thema Führung können Sie in meinem neuen Buch „Führungsinstinkte – Warum Führungserfolg auch Bauchsache ist“ lesen, das ich zusammen mit Marco Seltenreich geschrieben habe.
Werfen Sie hier einen Blick hinein, bestellen können Sie es hier.