Innere Einkehr – den Leader in sich selbst finden

Die stillste Zeit im Jahr wird heuer stiller als sonst. Das steht außer Zweifel. Die Einladungen, die viele von uns sonst gegen Jahresende in Atem halten, fallen Corona-bedingt weg. Auch die Freunde, mit denen man sich zum alljährlichen Punsch verabredet, müssen weiter warten. Und sogar Familienfeiern und die oft üblichen Besuchstouren bei Verwandten sind nur eingeschränkt möglich. Warum also nicht die auferlegte Ruhe und die gewonnene Zeit zur Einkehr nutzen, um den eigenen Weg ein wenig zu hinterfragen? Denn Antworten oder Lösungen finden wir oft in uns selbst – auch für den Weg zur Führungspersönlichkeit.

Hand aufs Herz, denken Sie auch, dass der erfolgversprechendste Weg zum „besseren Führen“ die Teilnahme an möglichst vielen Führungsworkshops ist? Ich will in keiner Weise abstreiten, dass Workshops und Lehrgänge tatsächlich gut und sinnvoll sind. Allerdings ist es ein großer Fehler, zu glauben, dass ein Workshop oder eine ähnliche Veranstaltung Menschen an zwei, drei Tagen wie von Zauberhand in Leadertypen verwandelt. Denn die entscheidende Arbeit an sich selbst, kann kein Workshop und kein erlerntes Tool ersetzen. Mein Rat lautet: Trainieren und wertschätzen Sie stattdessen jenes menschliche Werkzeug, das speziell in der Führung anderer Menschen am dringendsten benötigt wird, Ihre eigene Wahrnehmungsfähigkeit.

Die menschliche Wahrnehmung ist eine Gabe, die – virtuos eingesetzt – sogar manchmal wie Magie wirken kann: Wir können prinzipiell, ohne ein Wort zu wechseln, erkennen, wie es jemand anderem geht. Das ist eine Basis-Eigenschaft, mit der wir alle von Kindheit an ausgestattet sind.

Und simpel ist sie auch noch: Wir nehmen Dinge wahr und verhalten uns danach. Leider ist die Wahrnehmung aber auch ein sehr sensibles menschliches Spezialinstrument, das bei „Überbelastung“ schnell kaputtgehen kann., oder wir schalten sie unbewusst ganz aus, um uns zu schützen. Mögliche Auslöser gibt es entlang des Lebensweges viele: Menschen, die Grenzen überschreiten, keine Distanz einhalten, uns einfach so viel zumuten, dass wir uns künftig lieber auf unser rationales Wissen verlassen, anstatt auf unser Bauchgefühl zu hören. Und so sehr uns Wissen dienlich sein kann: Wenn es in manchen Situationen die Oberhand gewinnt, indem es zu Vorsicht, Distanz und Oberflächlichkeit „rät“, berauben wir uns selbst eines zutiefst menschlichen Sinns, der uns womöglich zu Führungsrobotern werden lässt.

Wissen ist bekanntlich Macht – aber es ist nicht alles und es benötigt Updates. Was man im Kopf hat, reicht also nicht aus, um aus der Perspektive eines Leaders einen guten Job als Führungskraft zu machen. Etwa wenn zu Ihrem Wissen gehört, dass vor der Brust verschränkte Arme bei einem Gegenüber Ablehnung bedeutet und Sie sich drauf verlassen. Dann werden Sie nämlich bei sämtlichen Meetings, in denen jemand die Arme verschränkt, auf eine vermeintliche Ablehnung Ihrer Person, Ihrer Botschaft oder Ihrer Position reagieren. Wenn Sie aber Ihre anderen Sensoren – Ihr Bauchgefühl – einsetzen, würden Sie vielleicht etwas ganz anderes wahrnehmen: Möglicherweise ist Ihr Gegenüber trotz verschränkter Arme hochkonzentriert, gelassen, interessiert. Vielleicht hat er einen Tennisarm und verschafft sich mit den verschränkten Armen lediglich eine schmerzfreie Körperhaltung. Wenn Sie dieser Wahrnehmung vertrauen, ändert sich auch sofort Ihre eigene Haltung und das Gespräch wird höchstwahrscheinlich einen völlig anderen Verlauf nehmen.

Aber wie funktioniert das eigentlich? Womit nehmen wir andere – abgesehen von unseren körperlichen Sinnen– wahr? Hier kommt etwas ins Spiel, das zutiefst menschlich ist, uns aber gleichzeitig fremd bzw. sogar fantastisch erscheint: die menschlichen Spiegelneuronen. Wir müssen lächeln, wenn der andere lächelt. Wir müssen weinen, wenn der andere weint. Wir können durch Beobachtung Verhaltensweisen übernehmen oder „nur“ erkennen. Auf den Punkt gebracht: Spiegelneuronen ermöglichen es uns, zu erkennen, was der andere gerade fühlt oder was in ihm vorgeht. Mehr noch: Sie geben uns auch die Möglichkeit zu erkennen, was der andere gerade braucht oder zu tun beabsichtigt. Spiegelneuronen zeichnen sich dadurch aus, dass sie sowohl auf das eigene Durchführen einer Aktion als auch auf die Beobachtung dieser Aktion bei anderen Menschen – eine gespiegelte Aktion – völlig identisch reagieren: Sie geben elektrische Impulse ab. Wir erleben das als Intuition. Spiegelneuronen helfen uns also intuitiv dabei, Menschen wahrzunehmen.

Weil aber selbst diese Gabe nicht immer einflussfrei abläuft, ist es also nicht ratsam, immer nur auf den Kopf oder nur auf den Bauch zu hören. Darum ist die Kombination unserer Wahrnehmungen auf rationaler Ebene, empathischer Ebene und von körperlichen Reaktionen so wichtig, um die richtigen Handlungen setzen zu können. Das erleichtert uns nicht nur den beruflichen Alltag, sondern wir sollten auch daran denken, wenn wir die Weihnachtsfeiertage im Kreis der Familie verbringen. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen ein besinnliches Weihnachtsfest.

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